Interview

Anstiftung zur Demokratie
Eine Antwort von Harald Siebler

Wie kommt ein Mensch auf die Idee so ein Projekt anzugehen?

Meine Arbeit hatte immer mit der Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft zu tun. Denn es gibt immer Konflikte, wenn Menschen aufeinander treffen. Sofort hat man Potential für einen Konflikt oder für eine Verabredung, die man treffen muss, um ein gemeinsames Leben möglich zu machen. Und das kann man ja ausdehnen, also nicht nur auf den kleinsten, sondern auf den größten Nenner. Das ist mein Thema, diesen Konfliktstoff in den verschiedensten Phasen immer wieder zu untersuchen. Nachdem ich mich entschlossen hatte ein Filmprojekt über Deutschland zu machen, habe ich so einen Stoff gesucht.

Die Inspiration, die Grundidee, kam durch die Filme von Krzysztof Kieslowski, den ich sehr bewundere und der mit solchen Konstrukten arbeitet. Genau aus dieser Ecke kam der Impuls, einen Stoff zu suchen, mit dem man einen großen Bogen spannen kann, an dem wiederum viele kleine Bögen aufgehängt sind, die dann mehr erzählen, als die Summe ihrer Teile - auch durch die Kombination, die Folge und das Miteinander. Das Ganze ist ja ein Konstrukt, das sich aus so vielen Stoffen, Geschichten und Informationen aufbaut, die das Wahrnehmensvermögen des Zuschauers überfordern können. Aber in der Komprimiertheit ist es auch möglich, dass eine Langzeitwirkung eintritt und man sich länger damit beschäftigen kann. Oder auch das Kino verlässt, wenn man zu voll ist und dann noch mal reingeht. Das finde ich alles legitim.

Für mich hat das Projekt einen Buchcharakter, auch wenn es keine durchgehende Figur gibt, abgesehen vom Artikel 18, der durch sämtliche Episoden läuft; aber das ist mehr die „Hitchcockfigur“, das ist der, der im ersten Kapitel sozusagen ausbricht und dann immer wieder irgendwo auftaucht – auch wenn man ihn nicht unbedingt entdeckt, er ist immer da. Das ist eine kleine Verweblinie. Es gibt mehrere durchgehende Verweblinien und dahinter steht der Gedanke, die Folie Deutschland auszurollen, auf der dann die einzelnen Geschichten stattfinden - einen Querschnitt durch sämtliche Bundesländer, mit dem Anspruch, in allen 16 Bundesländern zu drehen. Und in 16 Patenstädten.

Die Idee war, auch das Lokalambiente einzubinden, inhaltlich, materiell und personell.

Wie kriegt man einen demokratischen Ansatz in ein filmisches Projekt?

Filmemachen hat ja meist mit Demokratie überhaupt nichts zu tun, sondern ist die Diktatur des Regisseurs oder des Produzenten, und alle anderen dürfen sich aussuchen, unter welchem Diktator sie arbeiten wollen. Das ist ihre Freiheit im demokratischen Sinne. Das hat ein sehr bekannter deutscher Regisseur gesagt, der seit geraumer Zeit in Hollywood arbeitet. Auch das, habe ich mir gesagt, gilt es ja mal zu untersuchen. Wie kann man etwas über Demokratie erzählen, wenn man nicht den Versuch macht, auch im Produktionsprozess Demokratie zu probieren.

Das Grundgesetz, vor allem die Grundrechte, sind weit mehr als juristischer Stoff, die erheben ja auch einen moralischen, einen ethischen und einen sozialen Anspruch. Das Grundgesetz ist eine Menge mehr. Es ist gar nicht trocken und weit weg von uns, sondern wir sind ihm ganz nah, gehen täglich mit ihm um und wir interpretieren es auch täglich, wir wenden es in verschiedenster Art und Weise, mit verschiedensten Auswirkungen an. Dass wir uns hier jederzeit treffen können, dass wir draußen rumlaufen oder ins Auto steigen können und irgendwo hinfahren - auch über die Grenze. Das sind alles Auswirkungen des Grundgesetzes. Und es ist noch nicht lange her, da war die Freizügigkeit zu Ende an der nächsten Grenze, denn in der DDR gab es den Artikel der Freizügigkeit nicht. Das sind Sachen, die man schnell vergisst.

Wenn man sie aber zueinander in Bezug bringt, und das habe ich getan, landet man ganz schnell beim Grundgesetz.

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