Fortsetung des Interviews mit Harald Siebler

Apropos Lernen - das ist ja auch so was. Wir haben in Deutschland die Tendenz Wörter auf die Schwarze Liste zu setzen. Worte wie LERNEN stehen auf der Schwar-zen Liste. MORAL steht auf der Schwarzen Liste. Wie oft wurde mir gesagt „Na, das wird ja so ein Lehrfilm“ und „Ach du lieber Gott, wie langweilig“ oder „Da wird man wieder belehrt und moralisiert“. Alles Schimpfwörter. Moral ein Schimpfwort! Wie kommt man dazu, solche Wörter auf den Index zu setzen und sich über sie lustig zu machen?

All diese Sachen haben mich dazu gebracht zu sagen: „Jetzt will ich mal versuchen, da hineinzugehen“. Keine Lösungen anbieten, nicht belehren, sondern emotional erlebbar machen. Das heißt, die Hemmschwelle abzubauen zu den Berührungen zwischen den Grundlagen, Artikeln, Gesetzmäßigkeiten, dem juristischen Hinter-grund und dem täglichen Umgang damit im Leben des Einzelnen.

Das war der eigentliche Ansatz: Wie kriegt man das hin, dass die Leute dann eben nicht sagen: „Ach furchtbar, Grundgesetz und Justiz“, und dann alles weit von sich schieben. Ich hab mal gesagt „Hey, Demokratie ist sexy!“, ein furchtbares Wort in dem Zusammenhang, aber es hilft, das mal aufzubrechen, dass das alles nur trocken und uninteressant ist.

Der erste Ansatz war vor über acht Jahren. Anderthalb Jahre habe ich daran gearb-eitet, Der war noch anders gedacht, nämlich als Reihe fürs Fernsehen, 15 ein-stündige Filme mit unterschiedlichen, bekannten Autoren, alt – jung, Mann – Frau, Ost - West. Mit denen haben wir Stoffe entwickelt, Treatments, Drehbücher teilweise. Mit diesem Paket bin ich zu den Sendern gegangen und zu den Förderern. Und wurde überall abgelehnt oder belacht. Wer interessiert sich denn für Demokratie? Wer will sich denn so was ansehen? Nicht geeignet, kein Sendeplatz, keine Aus-sicht auf Quote. Es war erniedrigend, weil ich das Gefühl hatte, es interessiert tatsächlich niemanden, und da will auch keiner was für tun. Und nach anderthalb Jahren Arbeit, die sehr spannend war und auch sehr schön, aber nur Geld gekostet und nicht weitergeführt hat, habe ich damit aufgehört und eine Pause gemacht.

Aber es hat mich nicht losgelassen...

Dann habe ich umkonzipiert, umgearbeitet fürs Kino: nicht die langen Folgen, sondern kurze Episoden, Spielfilmchen, die man zu einem langen zusammen-bauen kann. Und mit dieser Konzeption bin ich wieder losgelaufen. Das war 2003, also drei, vier Jahre später. Diese neue Konzeption hat zunächst mal Interesse her-vorgerufen, auch weil in diesen vier Jahren die Aufmerksamkeit für das Grundge-setz und die Demokratie erheblich zugenommen hatte und ja immer noch wächst. Das Interesse an der Thematik ist heute weitaus höher als 2003.

Dann habe ich diese Konzeption entwickelt, die vorsah, möglichst viele Leute zu integrieren. Es ist ja ein Problem unserer Gesellschaft, dass der einzelne Angst
hat, nicht mehr in ihr vor-, sondern nur noch zu kurz zu kommen, also nicht mehr
als Individuum wahrgenommen zu werden. Es ist halt ein föderalistisches System, in dem jeder erst mal für sich selber sorgt und versucht über die Runden zu kommen, bevor er an die Allgemeinheit des Landes denkt. Daran scheiterte üb-rigens vieles, und in den Gesprächen mit Politikern war genau das immer spürbar. Mit dieser Problematik wollte ich das Projekt nicht konfrontieren.

Mein Ansatz war, neben mir noch weitere Regisseure ins Boot zu holen, die dann unabhängig ihren jeweiligen Film machen sollten. Doch dann kriegte ich Bedenken und dachte, das mach ich nicht, denn dann kämpft jeder nur für sein Ding und es
ist ihm egal, was rechts und links von ihm passiert. Aber schließlich überwog die Neugier auf Leute, die in diesem Projekt eine Aufgabe übernehmen und in der Reibung mit der Grundidee und mit mir die Sache weitertreiben wollten. Wobei,
und das ist der Rettungsring oder die Sicherheitsleine, die letzte Entscheidung in allen Dingen bei mir liegen sollte, weil wir sonst keinen Film fertig kriegen würden. Wenn man sich über das Projekt einig ist, dann fallen ohnehin fast alle Entschei-dungen im Vorfeld, und es waren so viele Parameter festgelegt, dass das Indivi-duum an dieser Stelle hinter das Allgemeine zurücktreten konnte. Diesem Grund-konflikt kann man sich gut aussetzten, wenn die Leute damit einverstanden sind. Aber das ist eine freiwillige Aktion.

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